Auf der einen Seite stehen Anhänger der Steinzeiternährung (Paleo-Diät) und Veganer, die sonst nur sehr wenig gemeinsam haben. Ihrer Ansicht nach ist Kuhmilch ausschließlich für saugende Kälber bestimmt und keinesfalls für den Menschen geeignet. Auf deren Seite findet sich auch oftmals die Argumentation, Kuhmilch sowie Milchprodukte seien ungesund.
Auf der anderen Seite stehen Menschen, die gerne Milchprodukte verzehren und bei denen es hartnäckig heißt, Milch sei ein essentiell wichtiges Nahrungsmittel und einer der wichtigsten Kalziumlieferanten unserer Ernährung.
Doch was stimmt denn nun wirklich? Ein Annäherungsversuch an dieses komplexe Thema.
Kuhmilch - unser bester Kalziumlieferant oder nicht?
Vor allem bei der Ernährung von Kindern raten noch viele zu einem erhöhten Milchgenuss, um das Wachstum zu fördern und die Knochen zu stärken. Auch Osteoporose soll dadurch verhindert werden. Milch ist dabei kein Getränk, sondern ein Nahrungsmittel. Tatsächlich benötigen Säuglinge Milch zur Ernährung – und hiermit ist die Muttermilch gemeint – und sind somit nicht anders als andere Säugetiere.
Richtig ist aber auch: Kein anderes Nahrungsmittel in unserer Gesellschaft weist eine so hohe Kalziumdichte auf wie Milch – und deren Produkte. Der Mineralstoff Kalzium wird unter anderem für die Stärkung des Skeletts benötigt. Es ist zudem essentiell wichtig für
- Entstehung,
- Neubildung
- und Wachstum von Knochen und Zähnen.
Liegt ein Kalzium-Mangel vor, können die Knochen brüchig werden. Krankheiten wie Osteoporose sind die Folge.
Allerdings wird der positive Nutzen von Milch auf die Knochen mittlerweile infrage gestellt. In einer schwedischen Langzeitstudie wird festgehalten, dass mit jedem Glas Milch die Gesamtsterblichkeit um drei Prozent anstieg; der Verzehr fermentierter Milchprodukte ergab ein niedrigeres Sterbe- und Frakturrisiko1.
Des Weiteren zeigte sich in einer amerikanischen Analyse verschiedener Studien, an der mehr als 500.000 Frauen beteiligt waren, dass mit einem hohen Laktose-Konsum (mehr als 3 Tassen Milch am Tag) das Risiko stieg, an Eierstock-Krebs zu erkranken.2 Inwiefern hier ein Zusammenhang besteht, muss noch weiter erforscht werden.
Wissenswert:
Dass es nicht immer Milch sein muss, um den Kalziumbedarf zu decken, beweisen einige Gemüse und Kräuter. In gewissem Umfang können beispielsweise Brokkoli, Grünkohl oder auch Lauch zur Versorgung beitragen. Auch manches Mineralwasser ist mit Kalzium angereichert.
Laktoseintoleranz als Hinweis, das Milch ungesund ist?
Im Vergleich zum Menschen verlieren alle anderen Säugetiere mit dem Wachstum die Fähigkeit, das Enzym Laktase auszubilden und damit den in der Milch enthaltenen Milchzucker (Laktose) zu verarbeiten. Beim Menschen bleibt diese Fähigkeit, Kuhmilch zu verdauen, aufgrund eines Gendefekts erhalten. Bei allen Menschen? Nein. Denn da gibt es immer noch Menschen mit einer Milchzuckerunverträglichkeit (Laktoseintoleranz).
Etwa 15 Prozent aller Menschen in Deutschland leiden an einer Milchzuckerunverträglichkeit. Zum Vergleich, die Laktoseintoleranz liegt weltweit bei rund 75 Prozent. Vor allem außerhalb Europas ist eine solche die Regel und nicht die Ausnahme. Offensichtlich hat sich der Gendefekt, der ein Aufspalten der Laktose überhaupt erst möglich macht, im Laufe der Evolution in Europa weit verbreitet.
Spricht die Laktoseintoleranz also dafür, dass Kuhmilch inklusive Milchprodukte ungesund ist? „Ja“, sagen vor allem Veganer und Anhänger der Paleo-Diät. Eine Laktoseintoleranz sei ein klarer Hinweis darauf, dass der Mensch nicht zum Milchtrinken bestimmt ist.
Die Befürworter Paleo-Ernährungsform berufen sich dabei auf die Steinzeit, in der es noch keine Viehwirtschaft gab und die Menschen demnach auch keine Milch verzehrten. Tatsächlich wurde auch bei dem berühmten Steinzeitmenschen, der Gletschermumie Özi, eine Laktoseintoleranz beziehungsweise zumindest das Fehlen des Gens zur Aufspaltung von Laktose festgestellt.
Milchbefürworter hingegen argumentieren, dass sich mit der Durchsetzung des "Gendefekts" - den man positiver auch als Genmutation bezeichnen könnte - in unseren Breiten, vor allem in Nordeuropa, zwei positive Folgen ergaben: Zum einen führte dies zu einer Weiterentwicklung und zum anderen einer damit einhergehenden, berechtigten Ernährungsumstellung.
Die Milch von heute und damals
„Milch ist gesund!“, so lautete es noch von unseren Großmüttern und -vätern. Viele von ihnen lebten auf dem Lande und tranken die Milch nahezu noch frisch von der Kuh. Wer heute direkt gemolkene Kuhmilch trinkt, ist dagegen oft über den ungewöhnlichen Geschmack erschrocken. Mit der Milch aus dem Supermarkt hat die Muttermilch der Kuh wenig gemeinsam. Und auch wenn diese reich an Nährstoffen und möglicherweise vielleicht in einigen Aspekten gesund ist, so lässt sich diese Aussage nicht auf ein hochbehandeltes, steriles und homogenisiertes Produkt wie die H-Milch übertragen.
Zudem leiden die meisten in Massenhaltung lebenden Kühe, die ausschließlich auf Milchleistung gezüchtet werden, häufig unter verschiedenen Krankheiten und Euterentzündungen. Diese werden mit Antibiotika behandelt. Zwar muss die folgende Milch nach dieser Behandlung weggeschüttet werden und darf nicht in unsere Lebensmittelkette geraten, doch auch wenn die Milch wieder zur Verwertung freigegeben wird, finden sich in ihr Spuren von Antibiotika.
Der moralische Aspekt
Vor allem Veganer setzen auf das moralische Argument. Kühe geben keine Milch, um Menschen zu ernähren, sondern um ihre Kälber zu säugen. Kuhmilch ist Muttermilch und der Mensch das einzige Lebewesen, welches sich artfremder Muttermilch zur Stillung der eigenen Bedürfnisse bedient. Veganer lehnen diese Nutzung von Tieren, die sie als Ausbeutung sehen, kategorisch ab.
Tipp:
Für Veganer und alle anderen, die in Zukunft auf Kuhmilch verzichten möchten, gibt es Alternativen. Sehr gute Kalziumlieferanten finden sich ebenfalls unter den pflanzlichen Drinks, beispielsweise in den Getreidesorten Hafer oder Reis, sowie in Haselnuss- oder Mandeldrinks.
Und tatsächlich wirft Milchgenuss bei genauer Betrachtung einige moralische Bedenken auf. Damit Kühe unseren Milchdurst und Hunger nach Milchprodukten stillen können, werden die Kälber etwa dreieinhalb Tage nach der Geburt von ihren Müttern getrennt. Für beide Seiten hat das schwere, psychische Folgen, denn ein mutterloses Aufwachsen ist für jedes Säugetier Stress.
Die Kälber werden mit Milch aus Plastikeimern ernährt. Die Alternative, eine muttergebundene Kälberaufzucht, erscheint nur wenig artgerechter. Hier werden die Kälber jeweils nur für wenige Stunden am Tag zu ihren Müttern gelassen.
Warum es auf die Frage, ob Kuhmilch/-produkte gesund oder ungesund sind, keine exakte Antwort gibt
Kuhmilch hat uns lange Zeit gute Dienste geleistet. In Zeiten von Nahrungsmittelknappheit dienten Milch, Butter und Käse als Kalorienlieferant und waren mancherorts zuverlässiger zu bekommen als Getreide in schlechten Erntezeiten. Das Vertrauen auf die Milch hat sich über Generationen hinweg gefestigt. Auf der anderen Seite ist die Kritik an der Milch noch recht neu und steht nicht in allen Punkten in einer Diskussion um die Gesundheit auf festem Boden.
Vermutlich müssen die kommenden Jahre und viele zuverlässige Studien zeigen, ob Kuhmilch sowie Milchprodukte tatsächlich so ungesund ist, wie es derzeit vermutet wird – oder ob unsere Großeltern doch recht behalten und Milch gesund ist.