Vegan krank sein - in vielen Medikamenten steckt Tier


Wenn der Hals kratzt oder der Kopf schmerzt, ist der Griff zu Arzneimitteln meist nicht weit. Wer will schon mit Brummschädel oder Halsschmerzen ins Büro? Für Veganer kann dies allerdings ein Problem darstellen, denn nicht alle Medikamente sind frei von tierischen Produkten.

Einerseits betrifft dies die Wirkstoffe in den Arzneimitteln, zu denen unter anderem folgende gehören:

  • Der Wirkstoff Heparin gehört zur Gruppe der Blutgerinnungshemmer. Er wird aus Rinderlungen oder der Darmschleimhaut von Schweinen gewonnen.
  • Tierische Insuline wurden vormals aus den Bauchspeicheldrüsen von Schweinen und Rindern extrahiert, heutzutage werden sie in der Regel durch mikrobiell hergestellte Insuline ersetzt.
  • Konjugiertes Östrogen findet sich im Blutplasma trächtiger Stuten.

Andererseits können in manchen Medikamenten auch die Hilfsstoffe nicht vegan sein. Dazu gehören:

  • Der Hilfsstoff Lactose (Milchzucker) dürfte wohl am bekanntesten sein. Er kann unter anderem als Füllmittel oder Überzug dienen, beispielsweise findet er sich in mancher Antibabypille.
  • Vor allem aus Gummibärchen bekannt ist Gelatine, die aus tierischem Bindegewebe (Knochen, Häuten) gewonnen wird. In der Pharmaindustrie findet sie Einsatz als Bestandteil von Hart- und Weichkapseln. Überzogen mit dem Hilfsstoff, soll das Schlucken von Tabletten erleichtert werden.
  • Neben den genannten Stoffen können auch Wollwachs (Schaf) oder Bienenwachs in Medikamenten enthalten sein.

Auch homöopathische Mittel sind nicht immer vegan, so enthalten manche Apis mellifica. Diese wird aus Honigbienen gewonnen und bei Schwellungen oder Rötungen nach einem Bienenstich angewandt.

Herauszufinden, ob ein Medikament vegan ist, kann ganz schön schwierig sein. Dafür muss der gesamte Inhalt eines Medikamentes bekannt sein. Im Zweifelsfall kann zusätzlich der Hersteller kontaktiert werden.

Vegane Medikamente: Impfen, auch ohne tierischen Inhalt?

Impfempfehlungen1 werden in Deutschland von einem unabhängigen Experten-Gremium ausgesprochen, der Ständigen Impfkommission (STIKO). Unter die Empfehlungen für Erwachsene fallen beispielsweise Diphterie, Masern oder Röteln. Wenn man als Veganer den Empfehlungen folgen möchte, ergibt sich zusätzlich die Frage, sind Impfungen überhaupt vegan?

Wie schon in Medikamenten, kann in manchen Impfstoffen ebenfalls Lactose, Gelatine oder auch Rindergalle enthalten sein. Und selbst wenn keine tierischen Inhalte in den endgültigen Impfungen enthalten sind, können sich Veganer nicht sicher sein, dass diese tatsächlich vegan sind. Bei der Herstellung eines Impfstoffes muss der betreffende Erreger zunächst vermehrt werden. Bei Viren bilden lebende Zellen die Grundlage, beispielweise ein bebrütetes Hühnerei2.

Veganer bei Zahnarzt & Co. – wo sonst noch Tier enthalten ist

Da Gelatine nach derzeitigem Kenntnisstand für den Menschen unbedenklich3 ist , wird sie sowohl in der Nahrung – so in Gummibärchen – als auch in anderen Bereichen eingesetzt. Tierische Produkte verstecken sich selbst da, wo sie nicht so schnell vermutet werden. Oder hätten Sie gedacht, dass der Zahnarzt Gelatine verwendet? In der Zahnmedizin kommt beispielsweise der PerioChip, ein Gelatineplättchen, zum Einsatz. Dieser wird in Zahnfleischtaschen eingesetzt und dient zur Keimreduktion – die Gelatine löst sich nach einiger Zeit von selbst auf.

Auch in der Notfallmedizin wird Gelatine angewandt. Der Hilfsstoff bildet die Basis bei der Herstellung von Plasmaexpandern, die bei hohem Blutverlust des Patienten verwendet werden. Das Blutvolumen soll sich dadurch stabilisieren beziehungsweise erhöhen.

Medikamenten-Tests zum Leidwesen der Tiere


Der Griff zu veganen Medikamenten garantiert leider nicht, dass für diese keine Tiere leiden mussten. Noch immer werden Arzneimittel und ihre Wirkungen durch Tierversuche getestet. Viele fordern deshalb, Versuche am Tier zu beenden – in der Regel aus moralischen Gründen. Dabei spricht auch aus wissenschaftlicher Sicht einiges gegen dieses Verfahren.

Zum einen unterscheiden sich Mensch und Tier in der Art wie ihre Körper funktionieren. Das heißt, manche Menschen-Krankheiten kommen bei Tieren gar nicht vor und müssen teils künstlich erzeugt werden – dies gelingt aber nicht immer. In sogenannten Tiermodellen werden Tieren Stoffe injiziert oder Genmanipulation betrieben. Eine andere Möglichkeit ist das Hinzufügen „körperfremder“ Materialen. Beispielsweise wurde Mäusen von außen ein Faden in eine Hirnarterie eingeführt, um einen Schlaganfall zu simulieren.

Schon gewusst? Vitamin B12-Präparate können Tier enthalten

Mit dem Verzicht auf tierische Produkte müssen Veganer manche Nährstoffe anderweitig zuführen. Während sich Eisen oder auch Eiweiß durch Hülsenfrüchte beispielsweise relativ einfach decken lassen, sieht es bei Vitamin B12 (Cobalamin) schon anders aus. Das Vitamin ist für den menschlichen Körper lebensnotwendig, so zum Beispiel bei der Funktion des Nervensystems.

Der höchste Gehalt an Vitamin B12 findet sich in tierischen Lebensmitteln; auch in manchen Pflanzen, jedoch in geringen Dosierungen, ist Vitamin B12 enthalten. Daher kann eine künstliche Zufuhr in Form von Tabletten oder auch Trinkfläschchen nötig sein. Doch aufgepasst! In manchen Präparaten sind tierische Zusatzstoffe enthalten. So kann beispielsweise die Verseifung von Stearinsäure (E 570) sowohl aus pflanzlichen als auch aus tierischen Ölen und Fetten sein. Auch Magnesiumstearat (E 470 b) kann einen tierischen Ursprung haben. Daher ist auch bei den Nahrungsergänzungsmitteln genau auf die Inhaltsstoffe zu achten.

Zum anderen gibt es Unterschiede bei der Reaktion auf Medikamente. Selbst wenn die menschliche Krankheit am Tier hervorgerufen werden kann, können die Ergebnisse für den Menschen unbrauchbar oder gar gefährlich sein. Grund können physiologische und biochemische Unterschiede zwischen Tier und Mensch sein. So kann es passieren, dass das entwickelte Medikament beim Tier anschlägt, während es beim Menschen keinerlei Wirkungen zeigt oder gar Nebenwirkungen hervorruft.

Viele Menschen plädieren daher dafür, Tierversuche einzustellen. Auch einige Ärzte sprechen sich hierfür aus und fordern eine am Menschen orientiere Forschung. Das bedeutet, sich unter anderem auf epidemiologische Studien an Bevölkerungsgruppen zu konzentrieren, aber auch auf klinische Untersuchungen, Labortests und – wenn nötig – auch an Freiwilligen zu forschen.

Dass Tierversuche nicht unbedingt nötig sind, zeigen vergangene Fälle. Bei diesen konnten die Krankheiten am Tier nicht hervorgerufen werden, zum Beispiel bei Gelbfieber. Ende des 19. Jahrhunderts mussten die Wissenschaftlicher Selbstversuche durchführen, um herauszufinden, dass Steckmücken die Überträger sind. Erst auf Grundlage dieser Beobachtungen konnten sie Gegenmaßnahmen einleiten.4

Ohne Tierversuche kein medizinischer Fortschritt


Selbstverständlich soll an dieser Stelle auch die andere Seite zu Wort kommen. Befürworter der Tierversuche sehen ohne diese Verfahren keine Möglichkeit eines medizinischen oder biologischen Fortschritts. Einige erfolgreiche Behandlungsmethoden von früher tödlich verlaufenden Erkrankungen sind aufgrund von Tierversuchen entwickelt worden. Zu diesen zählen beispielsweise Kinderlähmung (Polio), Insulin für Diabetiker oder Therapien bei Leukämie. Außerdem konnten dadurch physiologische Zusammenhänge und auch Störungen im Organismus erkannt werden.

Alternativen zu Tierversuchen stellen Arbeiten mit Zelllinien oder Computersimulationen dar. Solche Verfahren können jedoch nicht immer zum Einsatz kommen. Erstere sind zum Beispiel die sogenannten in-vitro-Verfahren (also im Glas). Doch nicht immer lassen sich komplexe Organismen künstlich ersetzen. Die Reaktion auf solche Methoden ist letztlich in vivo, also am lebenden Objekt, zu testen. Mithilfe von Computersimulationen sollen theoretische Modelle überprüft werden. Doch auch hier lassen sich weitere Aussagen wie Reaktion erst am lebenden Organismus feststellen.

Momentan scheinen tierversuchsfreie Untersuchungen noch Zukunftsmusik zu sein, doch die Forschung arbeitet stetig an alternativen Methoden5.

Fazit vegane Medikamente – konsequenter Verzicht oder Ausnahme?


Auf tierische Nahrungsmittel zu verzichten, Kleidung ohne Leder & Co. – all das scheint im Gegensatz zu veganen Medikamenten fast schon einfach zu sein. Tierisches steckt in allem Möglichen, auch dort, wo man es zunächst nicht vermutet: als Überzugsmittel wie Lactose oder beispielsweise Gelatine als Füllmaterial in der Zahnmedizin. Zwar werden auf dem Markt auch vegane Medikamente angeboten, doch dies ist kein Garant dafür, dass diese nicht auf der Basis von Tierversuchen entwickelt wurden.

Sollten Veganer daher auf Medikamente, Impfungen und andere pharmazeutische Erzeugnisse verzichten? Diese Frage kann pauschal nicht beantwortet werden, jeder muss dies für sich selbst beantworten. Generell ist ein Verzicht möglich, in erster Linie bei unbedenklichen Erkrankungen, beispielsweise einer leichten Erkältung. Diese können häufig mit Hausmitteln wie Ausruhen oder Tee trinken auskuriert werden. Generell ist es zu empfehlen, sein Immunsystem durch gesunde Ernährung und viel Bewegung an der frischen Luft zu stärken. So können Krankheiten am besten vorgebeugt werden.

Allerdings lassen sich nicht alle Erkrankungen einfach im Bett aussitzen. Manche Krankheiten bedürfen einer Behandlung mit Medikamenten und auch wer ins Krankenhaus muss, kann tierischen Produkten wohl kaum entkommen. Ein konsequenter Verzicht ist daher nicht immer möglich – vor allem aus gesundheitlicher Sicht.

Das könnte Sie auch interessieren:
Tanja Albert Von der Schülerzeitung übers Journalismus-Studium in die Online-Redaktion von kanyo® - Tanja Albert hat das Schreibfieber gepackt. Gemischt mit ihrem Interesse für Ernährungs- und Gesundheitsthemen stürzt sie sich Tag für Tag in die medizinische Recherche - und bringt das Ganze auch in die Sozialen Netzwerke, nämlich als Social Media Managerin. Tanja Albert Medizinredakteurin kanyo® mehr erfahren